Start dieser wohl spektakulärsten PostAuto-Strecke überhaupt, ist Sion. Von hier kämpft sich das Fahrzeug der Post im Sommer zwei mal täglich durch die wunderschönen Rebberge hinauf nach Erde. Nach der Ortschaft Aven führt nur noch ein kleines Strässchen ins Tal hinein. Plötzlich steht man vor einer Felswand, welche fast senkrecht abfällt und 600 Meter tiefer in den Fluss mündet. Hier führt die einzigartige Strasse durch schmale, in den Stein gehauene Tunnels. Schliesslich erreicht man nach gut einer Stunde Derborence, ein wunderschönes Naturschutzgebiert. Eine malerische Reise, wofür man jedoch schwindelfrei sein sollte...
12.332, Sion-Erde-Aven-Derborence
Der stattliche Busbahnhof von Sion bildet der Beginn dieser spektakulären Reise. Die Saison dieser imposanten Linie 331 beginnt Mitte Juni und endet anfangs Oktober. Während dieser Zeit wartet zwei Mal täglich ein PostAuto mit der Anschrift Derborence auf dem Bahnhofsplatz auf Wanderer und Ausflügler. Morgens um 09.10 sowie nachmittags um 14.10 nimmt ein Bergbus vom PostAuto Unternehmer Raphael Evequoz aus Erde diese äusserst spektakuläre Reise, die so ziemlich ans Ende der Welt führt, in Angriff.
Sobald die von den Anschlusszügen her strömenden Passagiere einen Sitzplatz gefunden haben, kann die Fahrt beginnen. Wie die 14 anderen PostAuto-Linien auch, die am Bahnhofsplatz von Sion beginnen, sucht sich das Fahrzeug der Linie 332 seinen Weg aus dem Knotenpunkt hinaus und biegt auf die Hauptstrasse Richtung Martigny ab. Mit einem kleinen Umweg wird anschliessend die Schule sowie das gigantische Gewerbegebiet von Châteauneuf, wo so ziemlich alle Fachgeschäfte und Detailhändler angesiedelt sind, bedient. Das Fahrzeug der Post sucht sich nun den Weg durch das enge und verwinkelte Dorf Conthey.
Anschliessend wird der dichtbevölkerte Talgrund hinter einem gelassen und das PostAuto kämpft sich auf der nördlichen Talseite über die Ortschaften St-Séverin und Sensine in Richtung Erde hoch. Dabei führt die Strasse mitten durch die wunderschönen Walliser Rebhänge, welche sich praktisch durchgehend von Visp bis nach Martigny erstrecken. Von diesem über 5000 Hektar grossen Weinanbaugebiet stammen rund 40 % aller Schweizer Weine. Am oberen Rand der Rebbergen liegt die Ortschaft Erde, wo sich der nächste Halt befindet.
Bei der Haltestelle "poste" wird am Morgen die Post für die wenigen Bewohner, welche den Sommer in Derborence verbringen, entgegengenommen. Manchmal müssen auch Lebensmittel für die zwei Restaurants eingeladen werden. Wenn alles sicher verstaut ist, kann die Reise weitergehen. Das PostAuto windet sich nun an der Bergflanke weiter hoch bis nach Aven. Dabei ergibt sich immer wieder einen herrlichen Blick hinunter in das Rhonetal. Nun steht eine enge Dorfdurchfahrt des verwinkelten Dorfkernes an, bevor das gelbe Fahrzeug auf die Strasse nach Derborence abbiegt.
Auf einen Schlag wird die bislang schon recht bescheidene Strasse noch schmäler und kurviger. Von hier bis zur Endstation sind es zwar nur noch 12 Kilometer, doch diese haben es in sich. Nun tuckert das PostAuto ganz sachte zur Freiluftkappelle St-Bernard hoch, wo die Strasse dann in das Derborence Tal abbiegt. An der rechten Bergflanke entlang sucht sich nun der Bergbus seinen Weg ins Tal hinein. Weit unter einem fliesst der Lizerne Fluss, welcher zuhinterst oberhalb von Derborence entspringt und in Ardon in die Rhône mündet. Auf der praktisch durchgehend einspurigen Strasse geht es immer weiter ins Tal hinein.
Nach der Haltestelle Maduc wird es dann richtig spektakulär. Nach einer 90 Grad Kurve um einen Felsvorsprung befindet man sich plötzlich in mitten einer senkrechten Felswand. Diese mündet rund 600 Meter tiefer in die Lizerne. Der einzige Weg um weiter zu kommen führt durch mehrere, in den Fels gehauene und gesprengte, Tunnels. Die knapp 11 Meter langen und 2.55 Meter breiten Fahrzeuge können nur mit ganz viel Fingerspitzengefühl durch die Tunnels hindurch gezirkelt werden. Da ist wieder ein mal das ganze Können der Chauffeure gefragt, denn vielerorts geht es um Millimeter.
Dieser wohl spektakulärster Abschnitt, der überhaupt von einem PostAuto befahren wird, wurde 1951 von den Einwohner der Region gegraben. Und dies unter Einsatz ihres Lebens. Immer wieder wurden Öffnungen eigelassen, durch welche Tageslicht in die finsteren Tunnels einströmen kann. Der Sinn dahinter war, dass sich dadurch die Kühe hindurchtrauen, wenn sie im Frühling auf die Alp getrieben werden. Doch nicht nur all diese Kühe müssen diese enge Passage meistern, sondern auch der gesamte motorisierte Verkehr. Und das ist an schönen Sommertagen nicht gerade wenig.
Und diese zum Teil sehr ungeübten Automobilisten bilden auch das grösste Problem dieser Strecke. Denn ein Kreuzen ist hier beim besten Willen unmöglich. So ist es früher auch schon vorgekommen, dass der PostAuto-Chauffeur aus dem Bus aussteigen musste und eigenhändig das entgegen kommende Auto zurücksetzten musste. Vor einigen Jahren wurde jedoch eine Verkehrsampel eingerichtet, welche der Chauffeur mit einem Code auf Rot stellen kann. So muss der Gegenverkehr rund 15 Minuten warten, bis der Bus den Abschnitt passiert hat. Doch dass heisst nicht, dass der wunderschöne Drei-Klang-Ton,
der im Tunnel so einzigartig zurückschallt, nicht mehr betätigt wird. Denn ein entgegenkommendes Fahrzeug ist trotz Lichtsignal nach wie vor nicht ausgeschlossen. Nach gut zehn Minuten hat es der Chauffeur geschafft und der einzigartige Tunnelabschnitt ist passiert. Doch die Linienführung bleibt spektakulär. Die Strasse sucht sich nun ihren Weg weiter an der praktisch senkrecht abfallenden Bergflanke entlang. Für jene Passagier, die nicht ganz schwindelfrei sind, ist es zu empfehlen auf der rechten Seite Platz zunehmen. Die "mutigen", welche auf der linken Seite sitzen,
werden mit einem gigantischen Ausblick in die rund 600 Meter tiefe Lizerne Schlucht belohnt. Im hinteren Teil des Tales ändert sich dann die Szenerie plötzlich schlagartig. Wo vorher noch karge Felswände und steile Abhänge das Bild dominierten, sind nun sanfte Wiesen und etliche Arven-Bäume zu sehen. Doch in mitten dieser ruhig scheinenden Landschaft liegen immer wieder grosse Felsbrocken. Diese stammen von einem gewaltigen Felssturz der sich am 23. September 1714 ereignet hat. Ein grosser Teil der Felswand unterhalb des Diableretsgletschers stürzte an diesem Tag ins Tal und begrub 55 Alphütten.
14 Menschen verloren ihr Leben. Sofort wurde der Pfarrer von Ardon aufgeboten um die Diablerets (Teufel), welche für das Unheil verantwortlich gemacht wurden, zu vertreiben. Doch das nützte leider nichts, denn bereits 1749 brach an genau gleicher Stelle wieder ein Stück Felsen ab. Nur dieses Mal wurden die Felsbrocken mehr in Richtung Derborence geschleudert, wodurch der Alpsee entstanden ist. Bis zu diesem See ist es auch nicht mehr weit. Doch zuerst macht das PostAuto noch eine kurze Stichfahrt nach Godey, wo sich ein weiterer, jedoch von Menschenhand gestauter See befindet.
Wieder zurück auf der Passstrasse ist es nicht mehr weit bis zum Endpunkt der Strecke. Mit weiteren Kurven windet sich das Fahrzeug immer weiter hoch. Und dabei durchfährt man eine einzigartige, herrliche sanft bewaldete Bergwelt, wie man sie auch in den kanadischen Rocky Mountains antrifft. Und dieser kaum von Menschen beeinflusste Bergwald steht seit 1959 unter Naturschutz. Nach gut einer Stunde Fahrzeit sind dann plötzlich grosszügige Parkfelder mit unzähligen abgestellten Autos in Sicht. Derborence ist erreicht.
Ganz am Ende des Parkplatzes befindet sich die Wendestelle des PostAutos. Hier, in mitten der Natur und so ziemlich am Ende der Welt, endet nicht nur diese einzigartige Linie sonder auch die Strasse. Nun heisst es alles aussteigen und die malerische Landschaft, mit dem einzigartigen Urwald von Derborence, auf dem Fussweg zu erkunden. Das PostAuto fährt nach einem rund 1 1/2 stündigen Aufenthalt um 11.50 sowie um 16.40 dann wieder zurück ins Tal. Eine schweisstreibende PostAuto-Linie mit garantiertem Spektakel nimmt so ihr Ende...
Lac de Derborence - 1499 m.ü.M
Der See von Derborence ist einer der jüngsten Bergseen der Schweiz. Er entstand durch den gewaltigen Bergsturz von 1749. Auf der Geröllhalde hat sich dann eine einzigartige Fauna und Flora angesiedelt. Eine Wanderung durch diese malerische Landschaft rund um den See, wie sie auch in Kanada anzutreffen wäre, ist sehr zu empfehlen. Weiter befinden sind am rechten Ufer des Sees ein paar Häuser sowie ein Restaurant, wo man sich vor der Rückfahrt stärken kann.
Last Update: 14.11.2024
Zuletzt gereist: 23.07.2018